Montag, 31. Mai 2010
Deutsche Zuschauer-Trends 2010
3D – Robert Rodriguez’ Kinderabenteuer „Spy Kids“ brachten bereits vor sieben Jahren den 3D-Effekt wieder im großen Stil zurück auf unsere Leinwände. Aber erst das letzte Jahr entfachte mit Pixars „Oben“, dem dritten „Ice Age“-Teil und dem erfolgreichsten Film aller Zeiten diese unbändige 3D-Euphorie, der wir dieses Jahr aufgepimpte Blockbuster wie „Kampf der Titanen“ und die Kinobesitzer, die groß genug waren und rechtzeitig investierten, besonders volle Kassen verdanken.

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Machen wir uns nichts vor: Hätte es nicht den 3D-Effekt gegeben, wäre 2010 boxoffice-technisch bisher ein sehr enttäuschendes Kinojahr gewesen. So polierte jedoch die zusätzliche Dimension die Bilanzen, ließ „Avatar“ monatelang Spitzenzahlen schreiben, machte bei uns aus Tim Burtons egal wirkender Fortsetzung von „Alice im Wunderland“ die erfolgreichste Produktion des Jahres und den weltweit einzigen Film-Milliardär. Die 3D-Spielerei ließ besagten „Kampf der Titanen“ zu einem, wenn auch nur kurzen Kinoereignis werden und verhalf namenlosen, weil originären Animationsschlachtschiffen wie „Drachenzähmen leicht gemacht“ und „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ zu richtig brauchbaren Resultaten. Spannend bleibt, wie lange noch dieser gewinnbringende Trend anhalten kann, wenn er weiterhin so rücksichtslos von den Hollywoodstudios ausgebeutet wird und auch immer mehr internationale Produktionen auf den Zug aufspringen werden.

Ikonografische Filmlegenden – Die viel zu zahlreichen Bestseller-Verfilmungen und Animationsschlachtschiffe mögen unsere zweite Jahreshälfte bestimmen. 2010 offenbarte indes neben bekannten Buchreihen sowie dem allseits gehassten Sequel- und Prequelwahn eine weitere Franchise-Grundlage, die todsichere Renditen verspricht, nämlich die Wiederbelebung von geliebten Filmlegenden. „Alice im Wunderland“ war nicht nur in 3D, es basierte, wie „Sherlock Holmes“ und „Robin Hood“, auf einer überall auf der Welt bekannten Buchfigur. Und gerade diese Neuverfilmungen kosten ein kleines Vermögen und werden auf diese Weise auch vermarktet. Unter 150 Millionen Dollar geht da inzwischen nicht mehr viel. So kann es kommen, dass Ridley Scotts „Robin Hood“ gerade in Europa ein riesiger Zuschauererfolg ist und trotzdem als Flop bezeichnet wird, weil er einfach zu teuer war.

Superstars – Man sollte sich nicht mehr blenden lassen: Hollywood-Superstars gehören zu einer aussterbenden Rasse. Sie existieren hauptsächlich noch, um den inzwischen riesig angeschwollenen Wirtschaftszweig der Boulevardpresse zu versorgen und gelegentlich als Synchronstimmen der neuesten Dreamworks-Animationsfilme in Erscheinung zu treten. Die meisten Boxoffice-Phänomene funktionieren heute ohne Superstars. Die Budgets und die Tricktechniken sind zu den eigentlichen Stars geworden. Klar, als Nebenprodukt fallen dann meistens austauschbare Gesichter wie Orlando Bloom, Shia LaBeouf oder Sam Worthington ab, die dann aber auch recht schnell wieder in der Versenkung verschwinden. Wenn heute noch Filme am Boxoffice funktionieren, die hauptsächlich von ihren Superstars zehren, stammen diese aus den altertümlichen 1990er-Jahren. Diese Relikte einer vergangenen Zeit, zum Beispiel dieses Jahr Leonardo DiCaprio in „Shutter Island“ oder Jennifer Aniston in „Der Kautions-Cop“, können aufgrund von nostalgischer Verklärung weiterhin Zuschauererfolge generieren. Aber ihre Zeit läuft ab. Ihr Marktwert verringert sich zunehmend, siehe die Entwicklungen der Karrieren von Julia Roberts, George Clooney oder Hugh Grant.

Bestseller-Franchise u. Animationsschlachtschiffe – Immer populärer werden dagegen Verfilmungen von anspruchslos verehrten Buchserien wie der Twilight-Reihe, den Harry Potter-Schinken oder den Nicholas Sparks-Tränendrücker. Auch bei der tollen Millennium-Trilogie von Stieg Larsson ist es nur eine Frage der Zeit, bis David Fincher ein zweites Mal im noch viel größeren Maße damit abräumt. Diese Praxis ist unheimlich lukrativ: Findet man erst einmal die richtige Buchreihe und sichert sich für Peanuts die Filmrechte, hat man eine getreue Gefolgschaft, die mantrahaft in die Kinos pilgern und so weitere Bevölkerungsschichten anstecken wird. Und da man ja den Vorstellungen der Fans entsprechen will und die Protagonisten dieser Buchphänomene meistens Kinder und Teenager sind, bekommt man anfangs immer sehr günstige Nachwuchsschauspieler, die das Budget nicht belasten.

Das erfolgreiche Gegenstück davon sind auf ihre Weise die ultrateuren Animationsschlachtschiffe der Hollywood Majors. Es verwundert nicht, dass die beiden boxoffice-technisch am höchsten eingeschätzten animierten Trickfilme dieses Jahr Fortsetzungen sind. „Für immer Shrek“ und „Toy Story 3“ bieten offensichtliche Sicherheiten. Filme wie „Drachenzähmen leicht gemacht“ oder „Wolkig mit Aussicht auf Fleischbällchen“ sind relativ riskante Unternehmungen, weil sie auf keinem eingeführten Franchise basieren und sich auf etwas verlassen müssen, das im heutigen Hollywood gerade in dieser Budgethöhe keine Selbstverständlichkeit ist: die Qualität. Beim Drachenzähmen und den Fleischbällchen war nach einem knappen Monat noch nicht klar, ob sie Hit oder Flop waren. Eine Ungeheuerlichkeit in Zeiten, in denen Branchenpäpste wie Nikki Finke von Deadline Hollywood nach dem Starttag bereits das endgültige Einspielergebnis bis auf die zweite Kommastelle vorhersagen wollen.

Deutsche Filme – Auf den Triumph folgte die Ernüchterung. Griff man letztes Jahr mit Blockbustern wie „Wickie und die starken Männer“, „Zweiohrküken“, „Die Päpstin“ und „Männerherzen“ nach der so wichtig wie magischen Marke von dreißig Prozent Marktanteil, musste man dieses Frühjahr kleinlaut feststellen, dass man eben nicht jedes Jahr einen neuen Michael Bully Herbig-Film oder die Fortsetzung einer der erfolgreichsten deutschen Komödien der Nachkriegsgeschichte aus dem Ärmel schütteln kann. Und wenn sich zusätzlich die auf den ersten Blick als potent erscheinenden Bernd Eichinger-Produktionen „Zeiten ändern dich“ und „Jerry Cotton“ als Stinker bzw. pures Boxoffice-Gift entpuppen, dann bleiben momentan leider nur die konstant erfolgreichen Kinderfilme und die ein oder andere Arthouse-Überraschung wie „Die Friseuse“.

Wenn man aber aus dem Frühjahr etwas positives ziehen will, dann dass die Filme „Friendship!“ mit Matthias Schweighöfer und „Vincent will Meer“ mit Florian David Fitz aufzeigten, wie leichtfüßig doch der übermächtigen Hollywoodkonkurrenz Einhalt geboten werden kann. Man drehe einen funktionierenden, sympathischen Unterhaltungsfilm mit jungen, talentierten Schauspielern, der es versteht, seine Zuschauer anzusprechen – und schon hat man einen Hit an der Hand. Und wenn ich so über meine Heimat-Filme-Releaseliste blicke, scheinen das einige auch verstanden zu haben. Auch wenn 2010 noch ein paar Hoffnungen auf „Konferenz der Tiere“, „Wir sind die Nacht“ und „Otto’s Eleven“ liegen mögen, wandert der Blick doch auffallend oft ins kommende Jahr, wenn der deutsche Film deutlich stärker aufgestellt zu sein scheint, vor allem dank der brandneuen Ufa Cinema-Produktionen, der integrativen Versuche der US-Zweigstellen und der innovativen Filmschmieden wie The Match Factory oder Egoli Tossell.

Comics – Comicverfilmungen aus den USA, die in den nächste Jahren nicht abreißen, ja, dank der Marvel-Aktivitäten um das Megaprojekt „The Avengers“ weiter zunehmen werden, haben weiterhin einen schweren Stand in den deutschen Kinos. Ob der zweite, 150 Millionen schwere „Iron Man“ wieder um die Million Zuschauer kämpfen musste oder der Internet-Hype namens „Kick-Ass“ mit zweihunderttausend Zuschauern in der Bedeutungslosigkeit verschwand – mit US-Comics ist hier kein Blumentopf zu gewinnen, so lange sie nicht Spider-Man oder Batman heißen.

Oscars – Wie von mir erwartet hat die Zehner-Aufsplitterung der Best Picture-Kategorie den prämierten Filmen am Boxoffice geschadet. Die großen Zuschauerhits wie „Avatar“, „Up“ oder „Inglourious Basterds“ waren weltweit längstens aus den Kinos wieder draußen, bevor sie auch nur von einem Oscareffekt hätten profitieren können. Einzig und allein „Up in the Air“ und „The Blind Side“, der recht respektabel das deutsche Football-Desinteresse überwand, nutzten ihre kleinen Euphoriewellen in unseren Kinos, auch wenn deren Ergebnisse meilenweit von den letztjährigen Oscarhits „Slumdog Millionaire“ und „The Curious Case of Benjamin Button“ entfernt lagen. Kleinere Produktionen wie „A Serious Man“, „A Single Man“ oder „Precious“ fielen beim Publikum mehr oder weniger durch.

P.S. Und ja, ist zu lang geworden, ich weiß! ;)

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