Donnerstag, 20. Mai 2010
Cannes-Ticker: 20. Mai
Nach spätestens einer Woche Filmfestival-Watching geht bei mir die Aufmerksamkeitsspanne merklich nach unten. So passt es mir gut in den Kram, dass die meisten Kritiker langsam mit ihren Fazits beginnen. Der bedachte Brite Nick James vom Sight & Sound-Magazin fasst sich angenehm kurz: Goldene Palmen-Favoriten seien "Of Gods and Men" und "Another Year", den die Oscar-Schmiede Sony Pictures Classics als einzigen würdigen Nachfolger von "Das weiße Band" und "Un prophète" auserkoren hat. Vom offiziellen Wettbewerb weitgehend enttäuscht worden, bezeichnet James die Un certain regard-Reihe als überlegen. Die kleineren Hypes um Filme wie "Aurora", "Tuesday, After Christmas", "The Strange Case of Angelica", "Blue Valentine", "Unter dir die Stadt" und "Les amours imaginaires" sprechen für sich.

Aus der hippen Bloggersicht von Alex Billington, in seinem zweiten Jahr, schaut das doch ähnlich aus, auch wenn er dann völlig andere Konsequenzen daraus gezogen hat. Anstatt abseits des Wettbewerbs Filmperlen zu entdecken, träumte der Kopf hinter FirstShowing dem letztjährigen, saftigeren Angebot hinterher. Na ja, wenn man Filme wie "Dogtooth" nicht zu schätzen weiß, hat man es wohl auch nicht besser verdient.

Jan Schulz-Ojala bringt noch mal in der Zeit auf den Punkt, warum Entertainment Magazine wie Empire, Total Film und Welt so wenig von der Croisette berichteten, weil nämlich die Hollywoodstars fehlten. Kein Grund zur Sorge, meint Ojala, solange man dafür Filme wie Life, Above All entdecken darf. Auch wenn mich dieses Filmprojekt nicht unbedingt interessiert hat, habe ich doch so ein bisschen die Daumen gedrückt für den Regisseur, Oliver Schmitz, der bei einigen der besten "Türkisch für Anfänger"-Episoden das Zepter geschwungen und auch "Doctor's Diary" (unterschätzt) ab und an seine Visionen aufgedrückt hat. Roger Ebert bezeichnete übrigens "Life, Above All" als echten Tear-Jerker, meinte das jedoch als größtmögliches Kompliment.

Olivier Assayas' aufwendiges "Carlos"-Biopic war offenbar genauso Pflichttermin an der amerikanischen Ostküste. Sowohl N.Y. Times' Manohla Dargis, als auch Boston Globes' Wesley Morris stürzten sich sofort auf das TV-Opus - mit gemischten Resultaten. Da gefiel mir der bereits heute Abend verlinkte Todd McCarthy deutlich besser. Noch ein paar Stunden später, am frühen Donnerstagmorgen, gibt es die Mubi-Zusammenfassung, die mir zeigt, dass Richard Corliss in Cannes war, aber in irgendeiner Special-Abteilung des Time Magazine versteckt wurde. Und Blickpunkt:Film findet zum Abschluss die Überschrift, die den Nagel auf den Kopf trifft: "'Carlos' kam, sah und würde siegen, wenn er dürfte." Der zweite Cargo Film-Podcast handelt unter anderem auch davon. Alexander Horwath schwärmt gegenüber Bert Rebhandl aber ebenso von "Of Gods and Men" und "Poetry".

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