Freitag, 2. April 2010
Philipp Stölzls "Goethe!" - Zwischen Fincher und Riefenstahl
Der erst vor ein paar Jahren gegründete amerikanische Verleih Music Box Films hat sich auf europäische Arthouse- und Genreproduktionen spezialisiert. Er hatte beispielsweise den Mut, Andreas Dresens Film über Sex im hohen Alter, „Wolke 9“, in die Kinos zu bringen, zeigte Stieg Larssons Millennium-Trilogie im Original und landete seinen größten Hit mit dem grandiosen französischen Thriller „Tell No One“, der über sechs Millionen Dollar einspielte. Ein Wert, von dem Philipp Stölzls „Nordwand“ nur träumen konnte. Ungefähr fünfzigtausend Amis sahen bisher sein mitreißendes Bergdrama, das Music Box Films diesen Januar rausbrachte, was ein echter Achtungserfolg für solch einen kleinen deutschen Film ohne internationalen Preisregen oder verrückt spielende US-Kritiker ist.

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Philipp Stölzl wurde vor allem neben der Tatsache, ein recht gelungenes Genreprodukt abgeliefert zu haben, deshalb so interessiert aufgenommen, weil er zwei besonders ansprechende Fruchtriegel im Rucksack hatte: Er ist zum einen gefeierter Musikvideo-Regisseur, ließ Rock-Opi Marius Müller Westernhagen vom Baby zum Greis morphen, baute für Witt und Heppner die Arche Noah wieder auf und ließ Madonna zur „American Pie“-Hymne die Hose rutschen. Was in Deutschland nahezu einem piefigen Schimpfwort gleichkommt, ist in Amerika dafür häufiger die Eintrittskarte in die erste Liga Hollywoods. Clip-Schrauber wie Gore Verbinski, David Fincher und Spike Jonze könnten ein Liedchen davon trällern. Zum anderen ist er der Mann hinter der Idee, die Videos der Schockrocker Rammstein mit Leni Riefenstahl-Ästhetik und Ausschnitten aus den Olympia-Filme provokativ aufzuhübschen. Da kribbelt es nicht nur den Amis in den Fingern, das hat auch in Deutschland hohe Wellen geschlagen.

Als der oscarprämierte Kultregisseur Quentin Tarantino in Babelsberg verweilte, um seinen „Inglourious Basterds“ zu inszenieren, lud Stölzl zur deutschen „Nordwand“-Premiere. Tarantino kam natürlich nicht. Aber allein die Möglichkeit, dass er hätte kommen können, war dem deutschen Blätterwald die ein oder andere Schlagzeile wert. Es unterstreicht den Reiz, der vom Mythos Bergfilm und dem ganzen ideologischen Gedöns ausgeht. Nicht umsonst weiß man inzwischen, dass Fräulein Riefenstahl Tarantinos Lieblingsregisseurin ist, so wie schon die New Hollywood-Regisseure Steven Spielberg, John Milius und George Lucas total auf die alte Lady abfuhren. Stölzl wusste darum, auch wenn er es in seinen Interviews zum Film versuchte herunterzuspielen. Wenn die Amis normalerweise an deutsche Filmgeschichte denken, dann sicherlich zuerst an Weimarer Klassiker wie „Der blaue Engel“, „Metropolis“ oder „Der letzte Mann“, nur um direkt im selben Atemzug ihre Faszination für Leni Riefenstahl zum Ausdruck zu bringen. Einer der bekanntesten Filmbuchautoren Amerikas, Steven Bach, der einstmals Studiochef war und später das Standardwerk über „Heaven’s Gate“ und den Niedergang der United Artists schrieb, veröffentlichte zwei Biografien über deutsche Filmstars: Marlene Dietrich und – natürlich – Leni Riefenstahl.

„Inglourious Basterds“ förderte so manche deutsche Entdeckung zu Tage: Häufig war es aber nur poliertes Talent. Dass Christoph Waltz eine genialische Bestie spielen kann, wusste man spätestens seit „Der Tanz mit dem Teufel – Die Entführung des Richard Oetker“. Oder dass August Diehl wie der junge Christopher Walken auftrumpfte, das erzählte selbst der Heuchelheimer Til Schweiger seit Jahren. Hätte man Volker Schlöndorffs „Der neunte Tag“ gesehen, hätte man Diehls diabolische Qualitäten schon früher zu schätzen gewusst. Eine richtige Entdeckung dagegen war die Besetzung von Alexander Fehling als Papa Wilhelm, dem ein Mexican Standoff ganz und gar nicht fremd ist. Und genau dieser spielt in Philipp Stölzls neuem Projekt die Hauptrolle: Als Johann Wolfgang Goethe wird Fehling auf den Spuren von Joseph Fiennes wandern, wenn es denn heißt „Goethe in Love“.

Die Sturm- und Drang-Jahre des berühmtesten deutschen Literaten stehen im Mittelpunkt der Geschichte um Irrungen und Wirrungen in Wetzlar, wo sich der Nachwuchsautor und Gerichtspraktikant in die junge, rothaarige Charlotte Buff (Miriam Stein) verliebt, die aber mit den älteren Konkurrenten Albert Kestner (Moritz Bleibtreu) verheiratet wird. Milos Formans „Amadeus“ wird gerne als cineastisches Vorbild genannt. Und so hat Regisseur Philipp Stölzl alles beisammen, was es braucht, um einen echten Hit zu generieren: Ehemalige Senator-Produzenten, die so viel Herzblut in die einheimische Filmindustrie fließen lassen, dass sie ihren neugegründeten Produktionsarm gleich schlicht „deutschfilm“ nannten; die wahrscheinlich größte Ikone der deutschsprachigen Literatur, die Stölzl mit dem ultraklassischen Hollywoodrezept künstlerische Freiheit plus Humor und viel Liebe knacken will: Ein nachvollziehbarer Ansatz, wenn man bedenkt, dass bislang noch jedes Projekt an Goethe gescheitert ist, zuletzt ja ganz und gar katastrophal Veronica Ferres’ Alleingang in „Die Braut“. Er hat die Talente (Fehling u. Stein) wie auch die Branchengrößen (Bleibtreu u. Klaußner). Er hat ein beachtliches Budget (6,5 Millionen Euro) und Rückenwind. Und auch wenn aktuell die deutsche Filmindustrie wieder stark ins Stottern gekommen ist, was regelmäßige Zuschauererfolge angeht, so könnte das dieses Jahr noch etwas werden. Der Kinostart ist für den Herbst angepeilt.

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