Dienstag, 1. September 2009
The Masters of Suspense - Hitchcock, Clouzot ... und Tarantino?
schwanenmeister, 19:32h
Man kann Filme auf vielerlei Arten abklopfen: Geschmäcklerisch, auf Logiklöcher, auf psychologische oder soziologische Subtexte, im Kontext des Genres oder der gesamten Filmografie eines Regisseurs. Auch direkte Verweise auf die persönliche Biografie der Beteiligten sind immer gerne genommen. Eine der spaßbringendsten, weil deutlich am unkompliziertesten und süchtigmachendsten Abklopfarten für willige Cinephile, insbesondere bei den reichhaltigen Werken Quentin Tarantinos, sind die Filmverweise. Auch da gibt es natürlich feine Unterscheidungen: von offensichtlich über versteckt bis ganz um die Ecke gedacht. Nun, dies hier soll kein Rundumblick werden. Das wäre mir aktuell zu aufwendig und zu einseitig. Ich lege lieber meinen Fokus auf das, was mich aktuell am meisten interessiert, nämlich die Kunst der Filmplakate in „Inglourious Basterds“.
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schwanenmeister,
Dienstag, 1. September 2009, 19:33
Als „Pulp Fiction“ die Welt verrückt machte, merkte ein spitzfindiger Kritiker an, Tarantino mache zwar tolle Filme, würde aber nie ein Meister des Suspense werden können. Dafür wären seine Filme einfach zu dialoglastig. Und nachdem sich das „Grindhouse“-Projekt zum Flop entwickelt hatte und unter anderem seine Dialoge dafür verantwortlich gemacht wurden, hatte er den richtigen Anstoss für sein neues Projekt bekommen. Seinen zahlreichen Kritikern wollte er die nervenzerfetzendsten Szenen präsentieren, die sie jemals gehört hätten. Allein durch seinen Dialog würde er ihnen ein für alle Mal den Mund und die Ohren stopfen wollen. Ob er es mit "Inglourious Basterds" geschafft hat, kann jeder selbst im Kino beurteilen. Dass er dagegen zwei der absoluten Meister des Suspense, Alfred Hitchcock und Henri-George Clouzot, ausgiebig auf Plakaten, im Kinoaushang und in einem Ausschnitt zitiert hat, ist eine bisher nicht besonders beachtete Tatsache.
Die Wände von Shosannas Kino sind mit auffallend lesbaren Filmplakaten geschmückt. Nach Goebbels’ Testvorführung von der Screwball Comedy „Glückskinder“ gibt es im Foyer einen entschieden geführten Dialog zwischen Shosanna und ihrem Lover Marcel, das Kino am Premierentag in Brand zu setzen. Hinter Marcel präsentiert uns Tarantino überdeutlich immer wieder das Plakat zu Henri-Georges Clouzots „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ („L’ Assassin habite … au 21“). Das ist aus vielerlei Gründen hochinteressant. Der Regisseur Clouzot begann seine Filmkarriere mitten im Zweiten Weltkrieg während der Okkupation Frankreichs. „Der Mörder wohnt in Nr. 21” war sein hoch gelobtes Debüt. „Ein geschickt gemachter Kriminalfilm“, wie ihn später die deutschen Filmkritiker Gregor & Patalas nennen sollten.
Außen am Kino bringt Shosanna, als sie Gestapo Major Hellstrom zum Dinner abholen soll, die Buchstaben für Clouzots zweiten Film, „Der Rabe“ („Le Corbeau“), an. Offensichtlich herrschen 1944, im fiktiven Pariser Le Gamaar-Cinema, Clouzot-Festwochen. Besagter Clouzot arbeitete bei der Ufa-Tochter Continental, die das deutsche Propagandaministerium speziell für den französischen Markt gegründet hatte. Clouzots Film „Der Rabe“, ein heute anerkanntes Meistwerk, das längst Criterion-geadelt ist, sorgte damals gerade unter der Resistance für extremes Unbehagen. In „Der Rabe“ geht es um einen anonymen Briefeschreiber, der durch seine Anschuldigungen ein ganzes Dorf gegeneinander aufbringt. Für diesen Film entzog man Clouzot später jahrelang die Arbeitserlaubnis. Noch später, in den 1950er-Jahren, wurde er durch „Lohn der Angst“ und „Die Teuflischen“ zum umfeierten europäischen Regiestar, dem man nicht ohne Stolz den Titel ‚französischer Hitchcock’ anheftete.
Und auch für so gut wie unbekannte Filme findet Tarantino wiederholt Platz: Hier ist es zum Beispiel das Plakat des französischen Films „Domino“ von 1943. Nicht zu verwechseln mit dem Tony Scott-Film, den Tarantino auch schätzt. Vom 1943er-Domino habe ich noch nie gehört und gelesen gehabt. Und wie die Kritiker verpassten, ihn auf Hitchcock und Clouzot anzusprechen, bleibt es auch hier dem Zuschauer überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das mysteriöse Plakat verrät nicht ansatzweise, in welche Richtung der Film tendieren könnte.
Das Hitchcock-Zitat ist dagegen auf viele Weisen vollkommen wahnsinnig und dann doch wieder im Kontext des Films mehr als einleuchtend. Natürlich ist es kein Plakat, sondern der „Sabotage“-Schnipsel, der eingespielt wird, wenn Samuel L. Jackson erzählt, wie leicht entflammbar damalige Zelluloidstreifen waren. Bisher las ich nur wenige Texte, die dieses Zitat überhaupt aufgriffen und gar keine, die darin einen Sinn entdecken konnten. Auf den ersten Blick ist es auch herrlich widersprüchlich. Tarantino ist der einzige mir bekannte Regisseur, der öffentlich behauptet, wenig mit Hitchcock-Filmen anfangen zu können und dafür die Nachahmer bevorzugt. Sein Lieblings-Hitchcock ist der als misslungen geltende Agententhriller „Der zerrissener Vorhang“ mit Paul Newman und Günter Strack. Er zieht jeder Zeit Richard Franklins sehr gute „Psycho“-Fortsetzung dem Original vor. Er ist knallharter Brian De Palma-Apologet – das allein würde nach all den Hasstiraden ausreichen, die über De Palma als billigen Kopierer ausgeschüttet wurden, um eine gewisse Distanz zu Hitch aufzubauen. Hitchcock zu lieben und zu würdigen, hieße für Tarantino der x-beliebige Movie Fanboy Nummer 1001 zu sein. Eine Tatsache, der er sich immer vehement widersetzt hat, obwohl man, wenn man genauer hinschaut, doch sehr viele klassische Filmgrößen als seine Vorbilder wiedererkennen kann.
Und in keinem seiner bisherigen Werke konnte man das deutlicher sehen als in „Inglourious Basterds“. Wenn sich „Reservoir Dogs“ auf kleine dreckige Heist Movies und Hongkong-Action bezog, „Pulp Fiction“ bereits den Schmutz im Titel trug, „Jackie Brown“ die Blaxploitation in den Mittelpunkt rückte, „Kill Bill“ sich durch Yakuza-Streifen, Italowestern und Kung Fu-Filme metzelte, während „Death Proof“ als seine Hommage an den Slasherfilm gedacht war, dann aber nur eine George Cukor-Paraphrase, nämlich Tarantinos „Die Frauen“ wurde, deutete sich dort bereits ein Paradigmenwechsel an. Joseph Mankiewicz war plötzlich sein neues großes Vorbild, seine schmierige Grindhouse-Interpretation geriet ihm zu Tischgesprächen, die auch gut und gerne aus „The Barefoot Contessa“ hätten stammen können. Er fand sich in der Biografie Mankiewicz’ wieder, im Aufstieg vom Drehbuchschreiber zum Regisseur, in den ähnlichen Vorwürfen und Hürden, die es zu überspringen galt. Und dann kam „Inglourious Basterds“. Und die Referenzpunkte hießen überraschenderweise nicht wie die italienischen Exploitation-Götter Antonio Margheriti oder Enzo Castellari, auch wenn beide ihren Teil zur Produktion beitrugen: einer lieh einem der falschen italienischen Kameramänner auf der „Stolz der Nation“-Premiere den Namen, und der andere stellte die Titel-Vorlage und tauchte als Statistenrolle in den Credits auf. Nein, Tarantinos Inspirationen lauteten dieses Mal Riefenstahl und Eisenstein, Chaplins „Der große Diktator“, Lubitschs „Sein oder Nichtsein“, Fritz Langs „Hangmen Also Die“, Sirks „Hitler’s Madman“ und Renoirs „This Land Is Mine“.
Clouzot und Hitchcock, der französische Eliteschüler und dessen britische Eminenz, waren Tarantinos wahre Lehrmeister bei „Inglourious Basterds“, wenn es um die Spannung, ja, um den Suspense-Faktor, aber auch um andere Dinge ging. Clouzots Film „Le Corbeau“ ist eines der Musterbeispiele für vielschichtige Figuren-Ensembles. Sämtliche auftretende Personen sind nicht das, was sie vorgeben zu sein: Der junge dynamische Arzt mit dem Herz aus Gold, den Clouzot zuerst als Fels in der Brandung aufbaut, hat eine dunkle Vergangenheit, die ihn immer genau dann davonlaufen lässt, wenn es brenzlig wird. Er hat eine Affäre mit der Frau des anderen älteren Arztes und keine Skrupel, auch mit einer weiteren Patientin etwas anzufangen. Die edle Krankenschwester landet zum Schluss in der Klappsmühle. Menschen, die zuerst bösartig erscheinen, versteht man später und hält sie für die wahren Sympathieträger. Sogar unschuldig erscheinende Kinder entpuppen sich als kleine Teufel, verstecken beispielsweise Beweisstücke oder treiben andere Figuren mit ihren Fragen in den Wahnsinn. Einmal stehen sich der junge und der alte Arzt gegenüber, zwischen ihnen schwankt eine Glühbirne wild umher. Der ältere sieht darin die fließenden Übergänge von Gut zu Böse. Und als der jüngere den Spuk stoppen will, verbrennt er sich an der heißen Birne die Finger.
Allein diese Szene könnte ohne große Vorbehalte als Grundsatz für „Inglourious Basterds“ begriffen werden, wo quasi alle Figuren mindestens ein doppeltes Spiel betreiben, Agenten für die Gegenseite sind oder gleich die Seite noch mal wechseln. Clouzot beschwört die innere Spannung der Szenen aus den Beziehungen und Dialogen der Figuren, wie es auch Tarantino tut, der seinen Suspense als simples Gummiband unter dem Tisch beschrieben hat, das immer länger gezogen wird. Während oben das Gespräch weiter läuft, türmt sich für den ahnenden Zuschauer immer mehr Suspense auf, bis es zum Einsturz bzw. zum Riss kommt. Hitchcocks Suspense ist Tarantino mit „Inglourious Basterds“ noch näher, besonders hinsichtlich „Sabotage“, einem Film, den Hitchcock selbst als weniger gelungen bezeichnet, was den kalifornischen Cinephilen bekanntlich erst recht anstachelt. Es gäbe unzählige Parallelen zwischen „Sabotage“ und „Inglourious Basterds“ aufzuzählen: Am offensichtlichsten wäre der visuelle Verweis, wenn der Zuschauer durch die Filmdosen hindurch auf den explosiven Inhalt sehen kann. So erreicht Hitchcock seinen Suspense, wenn er einen unwissenden Jungen mit einer Bombe durch London laufen lässt, die zu einer bestimmten Zeitpunkt hochgeht. Tarantino benutzt die gleiche Überblende, wenn er uns zeigt, wo genau der Sprengstoff an den Beinen der Basterds im Kino befestigt ist, was auch eine nett ironische Metapher für die wahre Identität unter der Maskerade ist.
In „Sabotage“ betreiben die Protagonisten ein kleines Kino. Es gibt auch den enthüllenden Blick hinter die Kinoleinwand, wenn der Scotland Yard-Polizist den Verbrechern auf die Schliche kommt. Wieder haben beinahe alle Figuren eine doppelte Identität: Der treusorgende Ehemann entpuppt sich als ein über Leichen gehender Attentäter, der Obst- und Gemüseverkäufer ist verdeckter Ermittler, der Vogelverkäufer verkauft unter der Hand Bomben, je nach Bedarf in Vogelkäfigen oder süßen Puppen. Das übereinstimmende Rachemotiv von Hitchcocks Kartenabreißerin, die ihren Bruder in der Bombenexplosion verliert und Shosanna, die zusehen muss, wie ihre ganze Familie abgeschlachtet wird, ist verblüffend. Das Kino als Trostspender ist in beiden Filmen etabliert. Bei Hitchcock schaut die Frau einen Disney-Cartoon und erlebt kurze Momente der Ablenkung. Bei Tarantino rettet das Kino wortwörtlich Shosannas Leben, indem sie dort einen Unterschlupf findet. Und bei beiden fliegt zum Schluss das Kino in die Luft. Ich will nicht behaupten, dass Hitchcocks und Tarantinos Suspense der selbe wären. Viel eher würde ich Tarantinos Spannungsmethode als Kondensat aus den Werken Hitchcocks und Clouzots betrachten wollen. Der Meister würde wohl noch viele andere Vorbilder nennen können, die mit reingespielt haben, aber seine Wurzeln hat er doch sehr ehrlich offengelegt.
Die Wände von Shosannas Kino sind mit auffallend lesbaren Filmplakaten geschmückt. Nach Goebbels’ Testvorführung von der Screwball Comedy „Glückskinder“ gibt es im Foyer einen entschieden geführten Dialog zwischen Shosanna und ihrem Lover Marcel, das Kino am Premierentag in Brand zu setzen. Hinter Marcel präsentiert uns Tarantino überdeutlich immer wieder das Plakat zu Henri-Georges Clouzots „Der Mörder wohnt in Nr. 21“ („L’ Assassin habite … au 21“). Das ist aus vielerlei Gründen hochinteressant. Der Regisseur Clouzot begann seine Filmkarriere mitten im Zweiten Weltkrieg während der Okkupation Frankreichs. „Der Mörder wohnt in Nr. 21” war sein hoch gelobtes Debüt. „Ein geschickt gemachter Kriminalfilm“, wie ihn später die deutschen Filmkritiker Gregor & Patalas nennen sollten.
Außen am Kino bringt Shosanna, als sie Gestapo Major Hellstrom zum Dinner abholen soll, die Buchstaben für Clouzots zweiten Film, „Der Rabe“ („Le Corbeau“), an. Offensichtlich herrschen 1944, im fiktiven Pariser Le Gamaar-Cinema, Clouzot-Festwochen. Besagter Clouzot arbeitete bei der Ufa-Tochter Continental, die das deutsche Propagandaministerium speziell für den französischen Markt gegründet hatte. Clouzots Film „Der Rabe“, ein heute anerkanntes Meistwerk, das längst Criterion-geadelt ist, sorgte damals gerade unter der Resistance für extremes Unbehagen. In „Der Rabe“ geht es um einen anonymen Briefeschreiber, der durch seine Anschuldigungen ein ganzes Dorf gegeneinander aufbringt. Für diesen Film entzog man Clouzot später jahrelang die Arbeitserlaubnis. Noch später, in den 1950er-Jahren, wurde er durch „Lohn der Angst“ und „Die Teuflischen“ zum umfeierten europäischen Regiestar, dem man nicht ohne Stolz den Titel ‚französischer Hitchcock’ anheftete.
Und auch für so gut wie unbekannte Filme findet Tarantino wiederholt Platz: Hier ist es zum Beispiel das Plakat des französischen Films „Domino“ von 1943. Nicht zu verwechseln mit dem Tony Scott-Film, den Tarantino auch schätzt. Vom 1943er-Domino habe ich noch nie gehört und gelesen gehabt. Und wie die Kritiker verpassten, ihn auf Hitchcock und Clouzot anzusprechen, bleibt es auch hier dem Zuschauer überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Das mysteriöse Plakat verrät nicht ansatzweise, in welche Richtung der Film tendieren könnte.
Das Hitchcock-Zitat ist dagegen auf viele Weisen vollkommen wahnsinnig und dann doch wieder im Kontext des Films mehr als einleuchtend. Natürlich ist es kein Plakat, sondern der „Sabotage“-Schnipsel, der eingespielt wird, wenn Samuel L. Jackson erzählt, wie leicht entflammbar damalige Zelluloidstreifen waren. Bisher las ich nur wenige Texte, die dieses Zitat überhaupt aufgriffen und gar keine, die darin einen Sinn entdecken konnten. Auf den ersten Blick ist es auch herrlich widersprüchlich. Tarantino ist der einzige mir bekannte Regisseur, der öffentlich behauptet, wenig mit Hitchcock-Filmen anfangen zu können und dafür die Nachahmer bevorzugt. Sein Lieblings-Hitchcock ist der als misslungen geltende Agententhriller „Der zerrissener Vorhang“ mit Paul Newman und Günter Strack. Er zieht jeder Zeit Richard Franklins sehr gute „Psycho“-Fortsetzung dem Original vor. Er ist knallharter Brian De Palma-Apologet – das allein würde nach all den Hasstiraden ausreichen, die über De Palma als billigen Kopierer ausgeschüttet wurden, um eine gewisse Distanz zu Hitch aufzubauen. Hitchcock zu lieben und zu würdigen, hieße für Tarantino der x-beliebige Movie Fanboy Nummer 1001 zu sein. Eine Tatsache, der er sich immer vehement widersetzt hat, obwohl man, wenn man genauer hinschaut, doch sehr viele klassische Filmgrößen als seine Vorbilder wiedererkennen kann.
Und in keinem seiner bisherigen Werke konnte man das deutlicher sehen als in „Inglourious Basterds“. Wenn sich „Reservoir Dogs“ auf kleine dreckige Heist Movies und Hongkong-Action bezog, „Pulp Fiction“ bereits den Schmutz im Titel trug, „Jackie Brown“ die Blaxploitation in den Mittelpunkt rückte, „Kill Bill“ sich durch Yakuza-Streifen, Italowestern und Kung Fu-Filme metzelte, während „Death Proof“ als seine Hommage an den Slasherfilm gedacht war, dann aber nur eine George Cukor-Paraphrase, nämlich Tarantinos „Die Frauen“ wurde, deutete sich dort bereits ein Paradigmenwechsel an. Joseph Mankiewicz war plötzlich sein neues großes Vorbild, seine schmierige Grindhouse-Interpretation geriet ihm zu Tischgesprächen, die auch gut und gerne aus „The Barefoot Contessa“ hätten stammen können. Er fand sich in der Biografie Mankiewicz’ wieder, im Aufstieg vom Drehbuchschreiber zum Regisseur, in den ähnlichen Vorwürfen und Hürden, die es zu überspringen galt. Und dann kam „Inglourious Basterds“. Und die Referenzpunkte hießen überraschenderweise nicht wie die italienischen Exploitation-Götter Antonio Margheriti oder Enzo Castellari, auch wenn beide ihren Teil zur Produktion beitrugen: einer lieh einem der falschen italienischen Kameramänner auf der „Stolz der Nation“-Premiere den Namen, und der andere stellte die Titel-Vorlage und tauchte als Statistenrolle in den Credits auf. Nein, Tarantinos Inspirationen lauteten dieses Mal Riefenstahl und Eisenstein, Chaplins „Der große Diktator“, Lubitschs „Sein oder Nichtsein“, Fritz Langs „Hangmen Also Die“, Sirks „Hitler’s Madman“ und Renoirs „This Land Is Mine“.
Clouzot und Hitchcock, der französische Eliteschüler und dessen britische Eminenz, waren Tarantinos wahre Lehrmeister bei „Inglourious Basterds“, wenn es um die Spannung, ja, um den Suspense-Faktor, aber auch um andere Dinge ging. Clouzots Film „Le Corbeau“ ist eines der Musterbeispiele für vielschichtige Figuren-Ensembles. Sämtliche auftretende Personen sind nicht das, was sie vorgeben zu sein: Der junge dynamische Arzt mit dem Herz aus Gold, den Clouzot zuerst als Fels in der Brandung aufbaut, hat eine dunkle Vergangenheit, die ihn immer genau dann davonlaufen lässt, wenn es brenzlig wird. Er hat eine Affäre mit der Frau des anderen älteren Arztes und keine Skrupel, auch mit einer weiteren Patientin etwas anzufangen. Die edle Krankenschwester landet zum Schluss in der Klappsmühle. Menschen, die zuerst bösartig erscheinen, versteht man später und hält sie für die wahren Sympathieträger. Sogar unschuldig erscheinende Kinder entpuppen sich als kleine Teufel, verstecken beispielsweise Beweisstücke oder treiben andere Figuren mit ihren Fragen in den Wahnsinn. Einmal stehen sich der junge und der alte Arzt gegenüber, zwischen ihnen schwankt eine Glühbirne wild umher. Der ältere sieht darin die fließenden Übergänge von Gut zu Böse. Und als der jüngere den Spuk stoppen will, verbrennt er sich an der heißen Birne die Finger.
Allein diese Szene könnte ohne große Vorbehalte als Grundsatz für „Inglourious Basterds“ begriffen werden, wo quasi alle Figuren mindestens ein doppeltes Spiel betreiben, Agenten für die Gegenseite sind oder gleich die Seite noch mal wechseln. Clouzot beschwört die innere Spannung der Szenen aus den Beziehungen und Dialogen der Figuren, wie es auch Tarantino tut, der seinen Suspense als simples Gummiband unter dem Tisch beschrieben hat, das immer länger gezogen wird. Während oben das Gespräch weiter läuft, türmt sich für den ahnenden Zuschauer immer mehr Suspense auf, bis es zum Einsturz bzw. zum Riss kommt. Hitchcocks Suspense ist Tarantino mit „Inglourious Basterds“ noch näher, besonders hinsichtlich „Sabotage“, einem Film, den Hitchcock selbst als weniger gelungen bezeichnet, was den kalifornischen Cinephilen bekanntlich erst recht anstachelt. Es gäbe unzählige Parallelen zwischen „Sabotage“ und „Inglourious Basterds“ aufzuzählen: Am offensichtlichsten wäre der visuelle Verweis, wenn der Zuschauer durch die Filmdosen hindurch auf den explosiven Inhalt sehen kann. So erreicht Hitchcock seinen Suspense, wenn er einen unwissenden Jungen mit einer Bombe durch London laufen lässt, die zu einer bestimmten Zeitpunkt hochgeht. Tarantino benutzt die gleiche Überblende, wenn er uns zeigt, wo genau der Sprengstoff an den Beinen der Basterds im Kino befestigt ist, was auch eine nett ironische Metapher für die wahre Identität unter der Maskerade ist.
In „Sabotage“ betreiben die Protagonisten ein kleines Kino. Es gibt auch den enthüllenden Blick hinter die Kinoleinwand, wenn der Scotland Yard-Polizist den Verbrechern auf die Schliche kommt. Wieder haben beinahe alle Figuren eine doppelte Identität: Der treusorgende Ehemann entpuppt sich als ein über Leichen gehender Attentäter, der Obst- und Gemüseverkäufer ist verdeckter Ermittler, der Vogelverkäufer verkauft unter der Hand Bomben, je nach Bedarf in Vogelkäfigen oder süßen Puppen. Das übereinstimmende Rachemotiv von Hitchcocks Kartenabreißerin, die ihren Bruder in der Bombenexplosion verliert und Shosanna, die zusehen muss, wie ihre ganze Familie abgeschlachtet wird, ist verblüffend. Das Kino als Trostspender ist in beiden Filmen etabliert. Bei Hitchcock schaut die Frau einen Disney-Cartoon und erlebt kurze Momente der Ablenkung. Bei Tarantino rettet das Kino wortwörtlich Shosannas Leben, indem sie dort einen Unterschlupf findet. Und bei beiden fliegt zum Schluss das Kino in die Luft. Ich will nicht behaupten, dass Hitchcocks und Tarantinos Suspense der selbe wären. Viel eher würde ich Tarantinos Spannungsmethode als Kondensat aus den Werken Hitchcocks und Clouzots betrachten wollen. Der Meister würde wohl noch viele andere Vorbilder nennen können, die mit reingespielt haben, aber seine Wurzeln hat er doch sehr ehrlich offengelegt.
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johnbanville,
Mittwoch, 2. September 2009, 03:58
Sehr interesanter Artikel!
Hast Du schon was von Henri-Georges Clouzot gesehen?
Ich werde mal versuchen etwas von ihm zu finden, um mir selbst ein Bild machen zu können. Alleine schon aus dem Grund das QT die Filme aus den 20er so hoch lobt.
please keep on with the good work ;-)
Hast Du schon was von Henri-Georges Clouzot gesehen?
Ich werde mal versuchen etwas von ihm zu finden, um mir selbst ein Bild machen zu können. Alleine schon aus dem Grund das QT die Filme aus den 20er so hoch lobt.
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schwanenmeister,
Mittwoch, 2. September 2009, 15:20
Ich kannte bereits "Lohn der Angst". "Der Rabe" hatte ich schon länger auf meiner To-Watch-Liste, fand aber nie den rechten Augenblick. Den habe ich, wie Hitchcocks "Sabotage", extra für den Artikel geschaut. "Die Teuflischen" wollte ich auch schon länger schauen. Da habe ich gestern die nette Geschichte gelesen - keine Ahnung, ob sie stimmt -, dass Hitchcock den Film sah und so beeindruckt war, dass er etwas ähnliches machen wollte, woraus dann "Psycho" wurde. Außerdem interessiert mich "Quai des Orfevres"; von dem schwärmt Pauline Kael so süß. Und dann gibt es natürlich seinen unvollendeten Romy Schneider-Film "L'enfer", der dieses Jahr in Cannes für Furore sorgte.
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