Samstag, 18. Juli 2009
SigiGötzEntertainment sucht den deutschen Genrestar des 21. Jahrhunderts
Vor einigen Äonen ereilte uns folgende aufrüttelnde SGE-Pressemitteilung: "Für die nächste, die sechzehnte Ausgabe plant SigiGötz-Entertainment den ganz großen Coup: Eine repräsentative Zusammenstellung des Deutschen Genrekinos (21stes Jahrhundert). Sachdienliche Hinweise werden noch entgegengenommen." Ein kühnes, ja, ein bewunderswertes Unterfangen, meine Herren! Nach den Wellen, die Ihr alternativer Kanon des deutschen Films in der zwölften Ausgabe geschlagen hat, ist das die konsequente Fortsetzung. Nur wegen Ihnen suche ich anhaltend nach Detlef Siercks "April April", Georg Tresslers "Sukkubus" oder dem schönsten deutschen Arztfilm "Dr. Holl".

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Um aber endlich kritisch zu werden und den Plasberg zu geben: Lieber Sigi Götz, ich hätte da mal ein paar Fragen: Bedeutet 'deutsch' in diesem Zusammenhang nur 'deutsch' oder gleich 'deutschsprachig', womit ebenso die österreichischen und ein Teil der Schweizer Produktionen gemeint wären. Ein kniffeliger Punkt, da nicht selten deutsch-österreichische Co-Produktionen entstehen, siehe Oscargewinner "Die Fälscher" oder Palmen-Gewinner "Das weiße Band". Wie genau definiert sich Ihr 'Genrekino'? Was ist Genre und was ist keins? Sind damit die nur in der engsten Auslegung betroffenen Horror- und Thrillerfilme gemeint, oder meint Ihr Genrebegriff auch Komödien, Historienfilme, sogar Dramen?

Sind Tom Tykwer-Filme nicht auch quasi ein eigenes Genre? Meint Ihr Genrekino vielleicht alle deutschen Filme, die ein gewisses Mindestmaß an Budget haben, und schließt diese Definition eigentlich hauptsächlich Independentproduktionen wie die Berliner Schule aus? Und meint diese Umfrage tatsächlich das 21. Jahrhundert oder doch eher alle Filme ab dem 01.01.2000? Denn das 21. Jahrhundert – alter Mathe-LK-Klugscheißer-Gag – beginnt erst ab dem 1. Januar 2001. Wenn Sie das nicht glauben, lesen's halt nach! Und wie verhält es sich mit der Abgrenzung zum Fernsehen: Sind TV-Produktionen legitime Vertreter des deutschen Genrekinos, oder gelten sie als Ausgeschlossene, die gefälligst von jemand anderen abgefeiert werden sollen?

Wie dem auch sei, hier meine Vorschläge - chronologisch und ohne Selbstläufer wie die neueren Petzold-Filme oder Preisabräumer wie "Das Leben der Anderen" und "Requiem". Auch keine Blockbuster wie "Keinohrhasen":

Flashback – Mörderische Ferien

Von den drei großen deutschen Slasherfilmen der 2000er-Jahre ist "Flashback" sicher der am leichtesten anzugreifende. Nur darf nicht vergessen werden: Es ist eben auch der weltweit führende Slasherfilm, was die Anzahl obskurer Tierkills angeht. Dazu 60's-Göttin Elke Sommer als prüdes Zimmermädchen Frau Lust, den nachsynchronisierten Wahnsinns-Doppelanfang, den tollen Running Gag um die verfaulende Leiche, die einen Love Song nach dem nächsten hört und ja, einen der besten Love Songs der damaligen Zeit, "Am I Not Sweet" von den Natural Born Hippies.

Der Krieger und die Kaiserin

Als ob Tom Tykwer seine Version von "Einer flog übers Kuckucksnest" gedreht hätte. Voller herrlicher Genreverquickungen. Benno Fürmann muss vom Klo runterkommen. Und Tykwer erfindet Franka Potente als reinste Unschuld neu. "Lola rennt" mag auf den ersten Blick ganz weit weg sein, im Herzen ist er doch stetig präsent. Der Luftröhrenschnitt gehört zum atemberaubendsten und erotischsten, was das deutsche Kino je zustande gebracht hat. Und der Heil-Klimek-Tykwer-Score ist epochal.

Schule

Bestimmte Filme erfassen und erspüren bestimmte Zeiten einfach perfekt. "Schule" hat es irgendwie geschafft, die Zeit kurz nach dem Abitur zu bannen, diese melancholische Aufbruchstimmung, in der alles auseinanderläuft und sich verliert, was sowieso nie so richtig zusammen gepasst hat. Eine Zeit, in der man sich sofort wieder hoffnungslos verlieren kann, wenn man sie nur einige Augenblicke lang unter die Nase gerieben bekommt. "School's Out - Die Nacht der Nächte" und "Nichts bereuen" schaffen das auch, aber auf ihre Art. "Schule" ist die Mainstream-Variante, geht aber mit der Zeit fast genauso unter die Haut.

Lammbock

Eindeutig einer der besten deutschen Filme der letzten zwanzig Jahre. Sympathische Kifferkomödie mit erstklassigem Soundtrack. Plündert so dreist die Werke von Kevin Smith und Quentin Tarantino, dass man ihm nicht böse sein kann. Der Dialog um die Pornodarstellerin aus "Die Superfaust" und "Vier Fäuste für ein Halleluja" ist aus vielerlei Gründen besonders hervorzuheben. Mit Soapsternchen Alexandra Schalaudek, Elmar Wepper als Vater und der bezaubernden Marie Zielcke, die mit ihrem Filmbruder die originellste Szene hat.

Swimming Pool – Der Tod feiert mit

Der wohl beste deutsche Slasherfilm aller Zeiten. Besser als "Anatomie"! Und der war schließlich von Oscargewinner Stefan Ruzowitzky. Europäisch besetzt, unter anderem mit dem Tschechen aus "Hostel", der als schmieriger Kommissar für die überflüssige Nebenhandlung sorgt und James McAvoy, bevor ihn Hollywood entdeckte. Der bombige Plot lautet: Absolventen der internationalen Prager Eliteschule feiern ihren Abschluss im örtlichen Schwimmbad. Es wird ein ganz großer Spaß - zumindest für den Zuschauer: Donots-Songs, ein Skelettkopf mit Machete und haufenweise Unsympathen, die gar nicht schnell genug ihre gewitzten Oneliner heraushauen können, bevor sie den Kopf verlieren.

Knallharte Jungs

Viel besser als der Vorgänger "Harte Jungs" und dabei ein verflixter Jekyll & Hyde-Film: Tobias Schenkes peinliche bis satirisch überhöhte Abenteuer sind fast zu nah an der Realität, als dass man sie ertragen könnte. Dagegen erinnert Axel Steins in die Filmrealität umgesetzter Jungentraum, sich als Wuchtbrumme Wanda zu verkleiden und unter zahnbespangte Hockey-Mädels zu mischen, in seinen besten Momenten an die Genreklassiker "Viktor & Viktoria", "Manche mögen's heiß" und "White Chicks".

Tattoo

Ein sinnlicher, visuell berauschend erzählter Horrorthriller, der die abstoßende und zugleich faszinierende Leidenschaft zelebriert, menschliche Hautfetzen zu sammeln, auf denen die eintätowierten Lebenskunstwerke der Verstorbenen verewigt sind. Nadeshda Brennicke spielt die verführerische Kunsthändlerin Maya Kroner und erinnert im freizügigen weißen Stretch-Top natürlich an Catherine Tramell in "Basic Instinct" (bereits ein gekonnter Verweis auf den Schluss des Films).

Mein Bruder, der Vampir

Ein Debüt, auf das man stolz sein kann. So überdreht und kraftmeierisch, so verspielt und einfallsreich, dass es zu zerplatzen droht. Alle Szenen mit Alexander Scheer als Spielplatz-Rowdie sind eine Qual. Das ist aber auch das schlimmste, was man über "Mein Bruder, der Vampir" festhalten kann. Natürlich ist der Coming-of-Age-Film auch überzeichnet und peinlich, aber schließlich geht es um Defloration. Und außerdem wagt er viel, geizt nicht mit intimen Details der Filmemacher und bietet die junge Julia Jentsch, bevor sie als Sophie Scholl verheizt wurde.

Baader

Eichingers "Baader Meinhof Komplex" weit überlegen, weil er sich einerseits traut, "Bonnie und Clyde" nachzuspielen, andererseits noch enger an Austs Buch bleibt. Witzigerweise sind jeweils die Baader-Figuren die egalsten: Gudrun Ensslin ist und bleibt der Star. Ob Johanna Wokalek oder Laura Maori Tonke, beide reißen aufgrund ihrer Präsenz und Aura ein Vakuum in die Leinwand. Nicht unbedingt ein toller Film, aber ein spannender deutscher Genrebeitrag. Den RAF-Terrorismus als großes Starkino mit gigantischem Budget zu inszenieren, ist reizlos. Es musste ein kleiner, dreckiger Film sein, der seine Helden im Kugelhagel tanzen lässt.

Soloalbum

Es gibt Filme, die findet man einfach perfekt, und man kann gar nicht genau sagen warum. Man hat sie sieben, vielleicht acht Mal gesehen und findet sie jedes Mal noch besser. Manchmal fragt man sich, warum man damit so in der Minderheit ist, nur um ganz schnell umzuschlagen, und es wieder sehr geil zu finden, diesen exklusiven Standpunkt zu haben. Nur so wenig: Der Trick beim Verfilmen von Popliteratur ist, dass die Ich-Erzähler in den Büchern schrecklich unsympathische Protzer sind, die lügen, betrügen und enttäuschen, wo sie nur können. Wenn sie aber von außen gezeigt werden, werden ihre verletztlichen und sympathischen Seiten sichtbar.

Der letzte Lude

"Der letzte Lude" ist eine liebenswürdige Anomalie, eine trashige Kiezkomödie um den HSV-Stadionsprecher Lotto King Karl, der im Film Andi Ommsen heißt und von allen nur Stullenandi genannt wird, weil er den hungrigen Bordsteinschwalben fürsorglich belegte Brote verkauft. Weit entfernt davon ein guter Film zu sein und doch dank Penistürstopper und abartigsten Fäkalhumor so besonders, dass man ihn besser als "Feuer, Eis und Dosenbier" schimpfen will. Und das ist schon eine Leistung. Fragen sie Til Schweiger!

Die Nacht der lebenden Loser

Dieses Meisterwerk kann alles und noch mehr. Der Film trug auf amerikanischen Genrefestivals den tollen Titel "Night of the Living Dorks". Zurecht, denn er ist der ultimative 1980er-Jahre-Film. Im Grunde ein plumpes Remake von "Teen Wolf", das aber alles viel besser macht als sein Ideengeber. Einer der ganz wenigen Mainstreamfilme, der die Gruftie-Gothik-Szene sympathisch charakterisiert. Und wenn man Peter Dendles Zombie Movie Encyclopedia Glauben schenken darf, der einzige deutsche Zombiefilm neben "Zombie '90: Extreme Pestilence".

Napola

Ein faszinierendes Stück deutsches Zelluloid. Auch so ein schizophrenes Biest wie "Knallharte Jungs". Hier unterscheiden sich aber die Filmhälften und nicht einzelne Charaktere wie Tag und Nacht. Die erste Filmhälfte hätte Herr Gansel auch gut und gerne 1938 veröffentlichen können, so mitreißend und blumig ist ihm das Nazi-Internatsleben gelungen. So lange "Napola" die faszinierende, die sexy Seite des Nationalsozialismus zeigt, ist er großartig, weil er einen mit zwiespältigen Gefühlen zurücklässt und unangenehme Fragen aufwirft. Dann holt der Film leider irgendwann den Zeigefinger heraus, wird didaktisch und zieht die moralische Reißleine.

Antikörper

Möglicherweise ist das der beste deutsche Horrorfilm seit Anfang der 1980er-Jahre, als Eckhart Schmidts "Der Fan" mit der kindlichen Dèsirèe Nosbusch für wohlige Gänsehaut und die ein oder andere Schlagzeile sorgte. "Antikörper" schafft das, was nur wenige deutsche Filme schaffen: Lust auf die eigene Sprache zu machen. Und M&S-Göttin Nadeshda Brennicke hat beim Puff-Umtrunk von Wotan Wilke Möhring einen Auftritt als melancholische Nachtclub-Sängerin mit dem Song 'Birds Crushing Into Windows'.

Die wilden Hühner

Es gibt in Deutschland momentan kein erfolgreicheres Genre als den Kinderfilm. Deutsche Blockbuster werden von den ganz Kleinen bestimmt. Und der Film "Die wilden Hühner" ist eine der besten Produktionen. Niedlich und harmlos und dabei den früheren TKKG, Panki und Funkfüchsen-Hörspielen in Stimmung und Figuren sehr ähnlich. Mit Gastauftritten von Piet Glocke und Simon Gosejohann. Und als ultimatives Kontrastprogramm zu Heinz Strunks "Fleckenteufel" bestens geeignet.

Vollidiot

Machen wir es kurz: Oliver Pocher hat Harald Schmidts Show nicht kaputt gemacht - die war es schon, seit das Nürtinger Grauhaar in die ARD wechselte. Und ja, er ist wohl ein mediengeiles Arschloch. Aber er ist auch perfekt besetzt als Hauptfigur Simon Peters, was heißt, dass er den Film nicht kaputt machen kann, da er sich selbst spielt. "Vollidiot" ist wundervolles Film-Fast-Food - unter allen Umständen unterhaltsam und reizvoll, so lange man es auf dem Teller hat. Sofort nach dem Ansehen vergessen. Und trotzdem bald wieder auf dem Wunschzettel.

Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken

Der legitime Nachfolger der Lederhosen- und Reportfilme der 1970er-Jahre: Zwar viel weniger nackte Haut, dafür emotional involvierender, charmanter und witziger als viele seiner Vorbilder. Am meisten gemein hat er wohl mit Rolf Thieles "Komm, mein liebstes Vögelein". Benno Fürmann spielt vielleicht seine beste Rolle, die Variety-Kritiker Derek Elley mit Preston Sturges-Charakteren verglichen hat und mich eher an Tex Averys "Rotkäppchen und der Wolf" erinnert. Jessica Schwarz steht ihm in nichts nach. Und selbst Uwe Ochsenknecht nervt mal einen Film lang nicht, was einem Wunder gleichkommt.


Extra: Die Liste der Filme, welche an der unscharfen Fragestellung gescheitert sind, trotzdem jeder Zeit listenwürdig wären, obwohl sie keine Blockbuster, allzu große Preisabräumer oder zu naheliegende Kandidaten waren:
Crazy
Nichts bereuen
Das weiße Rauschen
Bella Martha
Herz im Kopf
Jazzclub
Der Wald vor lauter Bäumen
Hierankl
Muxmäuschenstill
Der Fischer und seine Frau
Hilde
Hanami

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