Samstag, 17. Januar 2009
Gehört: Heinz Strunks "Fleckenteufel"

© Rowohlt Verlag
Sein Erstlingswerk "Fleisch ist mein Gemüse" verkaufte sich mehr als 300.000 mal und zog einen verunglückten Kinofilm nach sich, sein zweites Buch, die essayistische "Zunge Europas", schlabberte zwar durch sämtliche Print- und TV-Medien, erschien aber nicht einmal mehr in der Amazon-Top-100. Und von seinem neuesten Buch "Fleckenteufel" hört und liest man gar nichts mehr. Es ist einfach da - ohne Feuilletonpropaganda oder Talkshowkrieg. Wie ein leiser Kriecher.

Fleckengebiete & Feuchtteufel: Die Ähnlichkeit des Covers zu einem gewissen Bestseller einer ehemaligen Viva-Mitarbeiterin ist nicht von der Hand zu weisen. Wo Charlotte Roche aber scheinbar Tabus einriss, indem sie detailliert über Körperhygiene und sexuelle Vorlieben aus weiblicher Sicht schrieb, bewegt sich Strunk vor allem für Fans auf eingefahrenen Terrain: Arschbrand, Landser und Vergewaltigungsfantasien gehören seit den Anfängen zum Standardreportoire des Heinzers. Es geht um den 16-jährigen Thorsten Bruhn, der 1977 dank der evangelischen Familienfreizeit zwei kostengünstige Wochen Urlaub an der Ostsee unter Gleichaltrigen verbringen darf. Seine Gedankenwelt wird von ständiger Angst, dass etwas peinliches passieren könnte und mannigfaltigen Sexfantasien bestimmt. Seine Vorlieben für Männer und Frauen wären fifty-fifty, die angebetete Susanne Bohne die große Liebe, häufiger - um nicht zu sagen ausschließlich - kreisen seine Fantasien jedoch ganz einfach um den nächstliegenden Zeltkumpan.

Der Roman ist nicht ernsthaft daran interessiert, die Zeit um 1977 aufleben zu lassen. Strunk suhlt sich nicht sonderlich im Markenfetischismus oder an Kulturphänomenen. Der politische Kommentar hört bereits bei Scheiß-CDU'lern oder dem Erdnussfarmer Jimmy Carter auf. Elvis Presleys Tod kommt vor, bleibt aber bedeutungslos. Sein Protagonist ist eine arme Sau, der Zeitungen austrägt und, um Busgeld zu sparen, stundenlang im strömenden Regen zum Gemeindehaus latscht. Für teure Klamotten hat er kein Geld, an anderen fallen ihm höchstens eng sitzende Wrangler Jeans auf. Stärker interessiert scheint Strunk an den Mechanismen der evangelischen Familienfreizeit zu sein. Sehr lebendig sind ihm die Gestalten in der Kirchenhierarchie gelungen, allen voran Diakon Steiß, ein verheirateter Jesustyp, der die Freizeiten vor allem als privates Jagdrevier interpretiert und auf unscheinbare Weise alles anbaggert, was einen Rock trägt. Literarische Stärken finden sich besonders im entstehenden Rhythmus durch die Rituale der Freizeit, vom immer gleichen Aufstehen, über die Mahlzeiten bis zum traditionellen Besäufnis am Tanzabend. Die Beschreibung der Gruppendynamik unter Jugendlichen ist sehr sorgfältig und gelungen ausgefallen: Wer sitzt wo im Bus und was bedeutet das, wie entstehen Feind- und Freundschaften in diesen paar Tagen, wie entwickelt sich die Rangfolge unter den Jungen und Mädchen, wie arbeiten weiter unten Stehende den daraus resultierenden Stress und Frust ab. Eine der gelungensten Szenen beschreibt den Besuch einer Gruppe Behinderte im Camp - wie da überhaupt nichts klappt, fühlt sich echt an und würde wahrscheinlich jedem Pädagogen Schauer über den Rücken jagen.

Heinzer vergleicht gerne und vielleicht hat er das Jahr 1977 unter anderem deshalb herausgepickt, um mit den Klassikern des deutschen Bildungsbürgertums, namentlich Grass, Böll, Hesse und Mann, abzurechnen und diesen Charles Bukowski, "Fix und Foxi" und seine heiß geliebten Landser-Hefte entgegenzustellen. Vielleicht wollte er auch immer schon mal gestehen, dass eine Zeit lang "Rocky" sein Lieblingsfilm und Abba seine Lieblingsband waren.

Es passiert an äußerer Handlung nicht viel - wie in allen Strunk-Romanen. Die Innenwelt des Helden trägt das Buch - oder soll es tragen. Dieser klingt nicht großartig anders als Strunks dreißigjähriges Alter ego Markus Erdmann in "Die Zunge Europas", will auch die absolute Beobachtungsgabe haben und weidet sich an ach so tollen Beschreibungen und Kopfexperimenten. Dem Strunk-Aficionado begegnen immer wieder frühere Sketche, die der Autor manchmal wortwörtlich, manchmal etwas kunstvoller in den Plot eingewoben hat. Als Beispiel seien nur einmal die Kackstelze, das Quartett oder die Geruchsfolter genannt. Mein Hauptproblem war, dass ich den Protagonisten eindimensional, ja, manchmal sogar erschreckend abstoßend fand. Sympathie wollte sich da nie einstellen, auch wenn man sich ansatzweise in frühere Jahre zurückversetzt fühlte. Dazu sind die Leidenschaften von Thorsten Bruhn, z. B. eine auch noch im hohen Alter rosafarbige Rosette (?) zu haben, zu bizarr, dazu ist die Figur in weiten Teilen zu gehässig und im Ganzen zu uninteressant. Das Buch mag als harte Satire auf die "Fünf Freunde" durchgehen, hat wieder einige witzige Szenarien, Formulierungen und Gedanken (die Enid Blyton-Theorie) zu bieten, gefällt mir von allen drei Werken bisher nur am wenigsten. Aber mal abwarten: Kommt ein zweiter Durchgang, kommt vielleicht eine andere Haltung.

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