Mittwoch, 8. September 2010
Venedig-Ticker: 8. September
schwanenmeister, 01:07h
Ja, man sollte eigentlich immer einen Festival-Ticker mit den neuesten Gedanken von Rüdiger Suchsland beginnen, wenn sie denn verfügbar und frisch sind. Dieses Mal holt er sich die Tapferkeitsmedaille für seine Verteidigung eines Zirkusfilms ab. "A Sad Trumpet Ballad" ist der neue Film von Alex de la Iglesia und Suchsland sein neuester Fan: "Iglesia ist hier etwas wirklich Neues und Anderes geglückt, ein Film, wie ein Alptraum, ein katholischer Exorzismus, der sich am Teufel Franco abarbeitet und an seinen Spuren in Spaniens Gesellschaft bis heute."
Damon Wise hat inzwischen seiner Euphorie Ausdruck verliehen. Der italienische Crime-Thriller "Vallanzasca" war sein Heureka-Moment in Venedig: "This rock'n'roll outlaw thriller really hits the spot."
Die höchsten Weihen für Marco Müllers Festivalprogramm, die auch meinen Eindruck widerspiegeln: Lakonisch lobt der Sight & Sound-Herausgeber Nick James: "This is a staggeringly good festival this year, probably the best here I've attended. At halfway through, Venice has consistently entertained, surprised and stimulated with a confident selection that wafts breezily across moods, modes and genres, being neither careless nor preachy." Seine Highlights waren "Post mortem", "Potiche", "Meek's Cutoff", "Attenberg" und "Sorelle mai". Seine absoluten Lieblinge waren aber "Reign of Assassins" und "Detective Dee". Ich ahnte, dass Venedig das bessere Cannes würde. In your face, Deadline Hollywood!
Das erste Corbucci-Fitzelchen bei Daniel Kothenschulte: "Auch den Vergleich mit Amerikanern wie Sam Peckinpah brauche der Meister nicht zu scheuen: 'Wo sonst gibt es denn in einem Western 38 Tote?', lobte Tarantino Corbuccis 'Minnesota Clay'. 'Und ich spreche nur von der ersten Hälfte!'" Weniger pointiert, dafür umso schöner und wahrer Tarantino weiter: "Die Gewalt ging bei Corbucci auf in einer Mischung aus italienischer Oper und Douglas-Sirk-Melodram." Und auch in Jay Hobermans überraschendem Zwischenfazit gibt es ein klein bisschen Sergio Corbucci: "Tarantino told me that he planned to hold forth on Corbucci at a special panel. With my own jury work completed, I regret that I won't be in Venice to hear him, but I'll be watching for his performance on YouTube."
Und noch etwas zu Dani Kothenschulte: Der Videobeweis, dass seine Spencer & Hill-Spekulation ins Leere lief, weil keiner ihrer Filme in der Komödien-Retrospektive gezeigt wurde. Das andere große Traumduo, Barbara Bouchet & Lino Banfi, traf Tarantino dagegen sehr wohl.
Apropos YouTube, die Qualität der Videotagebücher vom emsigen Filmstarts-Chef Björn Becher wird einfach nicht besser. Aber wer es schafft, innerhalb weniger Minuten fünf Mal den Namen Tarantino auszusprechen, der packt es auch wieder in den Venedig-Ticker. Außerdem sah sich Becher Sergio Corbuccis "Minnesota Clay" in der Mitternachtsvorstellung an, was ja beinahe eine Nachricht wert ist. Peter Claus nennt dagegen den Namen des Jurypräsidenten nur einmal im Gespräch mit D-Radio Kultur, zählt inzwischen aber dafür den anfangs von ihm gescholtenen Tsui Hark-Film "Detective Dee" zu den Highlights des Wettbewerbs. Auch lobend erwähnt werden "The Ditch", "Promises Written in Water", "A Sad Trumpet Ballad", "Post mortem" und "Potiche". Der Provokateur Vincent Gallo hat somit den ersten offiziellen Fan hier gefunden. Und zum Abschluss wird Jimmy Hughes mit 'I'm So Glad' gespielt.
Peter Bradshaw (Guardian) und Anne Thompson (indieWIRE) sind weg, David Jenkins (Time Out London) reist heute ab, nicht ohne noch mal zusammenzufassen. Seine Top-3: 1. "Surviving Life" 2. "Meek's Cutoff" 3. "Black Swan". Runners Up: "Norwegian Wood", "Potiche", "Silent Souls" und - Gesellschaft für Peter Claus - "Promises Written in Water". Tobias Kniebe scharrt bestimmt auch schon mit den Hufen!
Ein Hauch Recherche: Die Zusammenstellung des Sergio Corbucci-Panels ließ mir keine Ruhe. Des Rätsels Lösung ist: Ganz regulär fanden vor drei Jahren in Venedig zwei von Peter Cowie moderierte Panels statt. 'Eastern Western: The Impact of the Spaghetti Western in Asia and America' hieß der Panel, zu dem unter anderem Richard Corliss, Marco Giusti und Jay Hoberman geladen waren. Und im Panel 'The Impact of the Mostra on the Circulation of Quality Films' saßen Michel Ciment und Derek Malcom. Es wird eine relativ spontane Aktion gewesen sein, dass Tarantino sagte, er würde gerne etwas über Sergio Corbucci machen. Dafür spricht auch die fehlende Ankündigung im Vorfeld. Der wohlsituierte Elvis Mitchell war offenbar als Entourage mit dem Jurypräsidenten gereist. Und Zacharek bloggte so vor sich hin.
Jeder Wettbewerbstag bringt einen neuen Favoriten, so hat man das Gefühl. Stephanie Zacharek, die morgen nach Toronto aufbricht, hat spät den einen Film gefunden, den sie nicht mehr abschütteln kann: "Venus Noire". Und sie legt ihren Lesern einige Sergio Corbucci-Filme ans Herz, besonders "Leichen pflastern seinen Weg", wobei dieser bezeichnenderweise nur als Region 2 disc zu haben wäre.
Gut gebrüllt, Löwe!Die Spekulationen um potentielle Löwengewinner nehmen zu und der Wettkampf darum, wer glaubt, den Geschmack Tarantinos am besten einschätzen zu können. "Filmischer Expressionismus, und das wird Tarantino mögen, darum kann man wetten, dass dieser starke, konsequente Film aus einem Guss einen Preis bekommt, warum nicht sogar den Goldenen Löwen?", schreibt Suchsland über "A Sad Trumpet Ballad". Nichts da, denkt sich Michael Althen: "Tarantino müsste eigentlich gefallen, was Francois Ozon in 'Potiche' macht. Denn der Franzose lässt mit derselben Liebe und Hingabe die Komödie der siebziger Jahre auferstehen, wie das Tarantino in 'Death Proof' mit den amerikanischen Billigfilmen jenes Jahrzehnts getan hat." Auf keinen Fall, Suchsland hat Recht, erwidert Peter Zander: "De la Iglesias brennt ein Sperrfeuer an bildgewaltigen Fantasien ab und bedient sich schamlos an Monster- und Splatterfilmen. Eine einzige große Befreiungsorgie, den 'Inglourious Basterds' nicht unähnlich, was Tarantino entzücken dürfte." Und Peter Claus will wissen: "Am Lido macht das Gerücht die Runde, Jury-Vorsitzender Quentin Tarantino habe geradezu euphorisch reagiert. Der Goldene Löwe? Wir werden es am Samstag sehen."
Damon Wise hat inzwischen seiner Euphorie Ausdruck verliehen. Der italienische Crime-Thriller "Vallanzasca" war sein Heureka-Moment in Venedig: "This rock'n'roll outlaw thriller really hits the spot."
Die höchsten Weihen für Marco Müllers Festivalprogramm, die auch meinen Eindruck widerspiegeln: Lakonisch lobt der Sight & Sound-Herausgeber Nick James: "This is a staggeringly good festival this year, probably the best here I've attended. At halfway through, Venice has consistently entertained, surprised and stimulated with a confident selection that wafts breezily across moods, modes and genres, being neither careless nor preachy." Seine Highlights waren "Post mortem", "Potiche", "Meek's Cutoff", "Attenberg" und "Sorelle mai". Seine absoluten Lieblinge waren aber "Reign of Assassins" und "Detective Dee". Ich ahnte, dass Venedig das bessere Cannes würde. In your face, Deadline Hollywood!
Das erste Corbucci-Fitzelchen bei Daniel Kothenschulte: "Auch den Vergleich mit Amerikanern wie Sam Peckinpah brauche der Meister nicht zu scheuen: 'Wo sonst gibt es denn in einem Western 38 Tote?', lobte Tarantino Corbuccis 'Minnesota Clay'. 'Und ich spreche nur von der ersten Hälfte!'" Weniger pointiert, dafür umso schöner und wahrer Tarantino weiter: "Die Gewalt ging bei Corbucci auf in einer Mischung aus italienischer Oper und Douglas-Sirk-Melodram." Und auch in Jay Hobermans überraschendem Zwischenfazit gibt es ein klein bisschen Sergio Corbucci: "Tarantino told me that he planned to hold forth on Corbucci at a special panel. With my own jury work completed, I regret that I won't be in Venice to hear him, but I'll be watching for his performance on YouTube."
Und noch etwas zu Dani Kothenschulte: Der Videobeweis, dass seine Spencer & Hill-Spekulation ins Leere lief, weil keiner ihrer Filme in der Komödien-Retrospektive gezeigt wurde. Das andere große Traumduo, Barbara Bouchet & Lino Banfi, traf Tarantino dagegen sehr wohl.
Apropos YouTube, die Qualität der Videotagebücher vom emsigen Filmstarts-Chef Björn Becher wird einfach nicht besser. Aber wer es schafft, innerhalb weniger Minuten fünf Mal den Namen Tarantino auszusprechen, der packt es auch wieder in den Venedig-Ticker. Außerdem sah sich Becher Sergio Corbuccis "Minnesota Clay" in der Mitternachtsvorstellung an, was ja beinahe eine Nachricht wert ist. Peter Claus nennt dagegen den Namen des Jurypräsidenten nur einmal im Gespräch mit D-Radio Kultur, zählt inzwischen aber dafür den anfangs von ihm gescholtenen Tsui Hark-Film "Detective Dee" zu den Highlights des Wettbewerbs. Auch lobend erwähnt werden "The Ditch", "Promises Written in Water", "A Sad Trumpet Ballad", "Post mortem" und "Potiche". Der Provokateur Vincent Gallo hat somit den ersten offiziellen Fan hier gefunden. Und zum Abschluss wird Jimmy Hughes mit 'I'm So Glad' gespielt.
Peter Bradshaw (Guardian) und Anne Thompson (indieWIRE) sind weg, David Jenkins (Time Out London) reist heute ab, nicht ohne noch mal zusammenzufassen. Seine Top-3: 1. "Surviving Life" 2. "Meek's Cutoff" 3. "Black Swan". Runners Up: "Norwegian Wood", "Potiche", "Silent Souls" und - Gesellschaft für Peter Claus - "Promises Written in Water". Tobias Kniebe scharrt bestimmt auch schon mit den Hufen!
Ein Hauch Recherche: Die Zusammenstellung des Sergio Corbucci-Panels ließ mir keine Ruhe. Des Rätsels Lösung ist: Ganz regulär fanden vor drei Jahren in Venedig zwei von Peter Cowie moderierte Panels statt. 'Eastern Western: The Impact of the Spaghetti Western in Asia and America' hieß der Panel, zu dem unter anderem Richard Corliss, Marco Giusti und Jay Hoberman geladen waren. Und im Panel 'The Impact of the Mostra on the Circulation of Quality Films' saßen Michel Ciment und Derek Malcom. Es wird eine relativ spontane Aktion gewesen sein, dass Tarantino sagte, er würde gerne etwas über Sergio Corbucci machen. Dafür spricht auch die fehlende Ankündigung im Vorfeld. Der wohlsituierte Elvis Mitchell war offenbar als Entourage mit dem Jurypräsidenten gereist. Und Zacharek bloggte so vor sich hin.
Jeder Wettbewerbstag bringt einen neuen Favoriten, so hat man das Gefühl. Stephanie Zacharek, die morgen nach Toronto aufbricht, hat spät den einen Film gefunden, den sie nicht mehr abschütteln kann: "Venus Noire". Und sie legt ihren Lesern einige Sergio Corbucci-Filme ans Herz, besonders "Leichen pflastern seinen Weg", wobei dieser bezeichnenderweise nur als Region 2 disc zu haben wäre.
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