Freitag, 5. März 2010
Kritik an der Kritik - Heute: Rüdiger Suchsland
Der deutsche Avantgarde-Filmkritiker Rüdiger Suchsland in filmdienst und artechock über Regina Zieglers Traumprojekt und Kinowahnsinn "Henri IV.":
"In erster Linie erzählt [Jo] Baier Henris Leben als das Leben eines Wollüstlings, der immer wieder mit neuen Frauen im Bett gezeigt wird. Diesen Szenen und hier wieder den zweifellos wohlgeformten Brüsten der diversen Darstellerinnen widmet die insgesamt sehr geschmäcklerische Kamera Gernot Rolls besondere Aufmerksamkeit – da hätte manches besser ins bayerische Lederhosenkino der frühen 70er gepasst, als zu diesem Stoff."
Wir stellen fest: Herr Suchsland, sie unterschätzen ganz gewaltig die Qualitäten des Lederhosenfilms der 1970er-Jahre, wenn sie ihn, wie "Henri IV.", auf die optisch hervorstechenden Charaktermerkmale seiner Darstellerinnen reduzieren wollen! Wo sieht man schon mal den aufgehenden deutschen Schauspielstar Devid Striesow so comichaft agieren, dass man glaubt, er wäre aus dem Vampirkapitel des Siggi Götz-Klassikers "Die Einsteiger" entflohen, um sich in der Heinrich Mann-Verfilmung hinterm Vorhang zu verstecken. Und wann sieht man schon mal Krimi-Ikone Hannelore Hoger - mit echtem Teufelsschatten - dem französischen Filmsterchen Armelle Deutsch in den ebenso wohlgeformten Hintern beißen. Method acting par excellence. Ja, wann wurde jemals gewagt, eine ganze Schlacht allein durch das tänzelnde Schattenspiel an den Zeltwänden einer Königin darzustellen, wann jemals Charaktere dadurch eingeführt, dass sie Mädchen für einen Taler unter den Rock schauen oder erst einmal gepflegt vor der wartenden Dienerschaft in den Schnee urinieren.

Der 19 Millionen teure Ultratrash namens "Henri IV." startete diesen Donnerstag mit ungefähr 180 Kopien in den deutschen Kinos. Der erste InsideKino-Trend schätzt das Wochenende auf ca. 15k Zuschauer. Wer erfahren will, warum sich ein zweieinhalbstündiger Kinofilm wie gut und gerne vier Stunden anfühlen kann, der sollte sich beeilen.

Link: - Suchsland

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Der Suchsland hat mir schon mit seinem Hinweis, ZEITEN ÄNDERN DICH könnte in zwanzig Jahren im Werkstattkino laufen viel Lust auf den Film gemacht. Und um ehrlich zu sein, dass was du da noch zu HENRI IV. schreibst klingt eigentlich auch toll....

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"Henri IV." ist auf jeden Fall ein Film, der viel besser wird, wenn man ihn durchgestanden hat und sich dann darüber unterhalten darf. Vieles total wahnsinnig an dem Film: Nicht nur wie er einige seiner Figuren einführt, auch wie viele das sind, und das das bis zum Ende durchgezogen wird. Theoretisch keine ganz reizlose Vorstellung, die gesamte europäische Geschichte durch Bettgeschichten zu erzählen. Das hat eine gewisse epische Qualität, die an vielstündige Kinomarathons zu Edgar Reitz' "Heimat" oder Fassbinders "Berlin Alexanderplatz" erinnert. Umso länger man die Kinoerfahrung wachsen lässt, umso mehr Fleisch findet man. "Henri IV." ist auch pures Geruchskino. Immer tritt irgendjemand in einen Raum, sagt, es rieche nach Fisch oder Knoblauch. Von halbverwesten Kindskörpern ist die Rede. Dazu Hans Zimmers dauerläutende Pathosglocke, die die teilweise atembraubend schönen Bilder umschmeichelt. Dazu gibt es auch einen ganz tollen YouTube-Ausschnitt, in dem Ziegler und Baier nach Los Angeles gefahren sind und Zimmer nach dem ersten Ansehen Brainstorming betreiben lassen. Und ich meine, wer Lars-Olav Beier vom Spiegel dazu bringt, seinen groß angelegten Artikel über europäische Co-Produktionen mit den Dreharbeiten zur sagenumwobenen Hinternszene aufzumachen, der hat doch Aufmerksamkeit verdient, oder?

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