Sonntag, 12. April 2009
Wer hat Angst vor Tarantino?
"Bang Bang My Baby Shot Me Down"
Wie die Briten einen Artikel der Süddeutschen zum alten Mär vom aufgebrachten Deutschen aufbliesen und der US-Blog Slashfilm das Thema weiter steigen ließ

Letzten Mittwoch, den 13.08., veröffentlichte die Süddeutsche den Artikel
Eine Prozedur namens Skalpieren
Dort schrieb der recht zuverlässige Autor Tobias Kniebe angeregt über Quentin Tarantinos neuen Film "Inglourious Basterds". Es war endlich der erste ausführlichere deutschsprachige Artikel über das gesamte Projekt und nicht mehr nur die fanboyhafte Auflistung von Tarantinos Hotelaufenthalten in Berlin, seinen Castingideen oder dem Location Scouting in Görlitz. Detailliert wurde auf das im Internet kursierende Drehbuch eingegangen, seine Echtheit anhand von Quentin-typischen Rechtschreibfehlern, Sprachrhythmus und unter Mithilfe amerikanischer Artikel überprüft. Die Handlung wurde gespoilert, viele Kleinigkeiten enthüllt und die sich jetzt schon abzeichnende Realität ausformuliert, dass "Inglourious Basterds" unter anderem Tarantinos Liebesbrief an die deutsche Filmgeschichte sein würde.

Zwei Tage später reagierte die britische Presse. Der Daily Telegraph titelte:
Quentin Tarantino angers Germans with film about slaying Nazis
Und der Guardian schrieb im selben Zusammenhang, Tobias Kniebe zitierend, von einer Undifferenziertheit zwischen 'guten' und 'bösen' Deutschen. Es sind zwei sehr unterschiedliche Artikel: Der Daily Telegraph suhlt sich in den Gräueltaten von Tarantinos Bastarden und möchte erfahren haben, dass viele Deutsche verärgert wären und Angst hätten, der Film würde aus dem Zweiten Weltkrieg ein Comicbuchabenteuer und aus allen Deutschen gnadenlose Monster machen. Es wäre angeblich ein Rückfall in die dumpfeste Anti-Deutschland-Kriegspropaganda. Zwei Kniebe-Zitate führte der Artikel, die die britischen Eigeninterpretationen natürlich nicht stützten, aber aus dem Zusammenhang gerissen zumindest als Bestätigung verstanden werden könnten. Der sachlichere Guardian-Artikel war zwar schlechter recherchiert ("Inglourious Basterds" ist definitiv kein Remake des Castellari-Kriegsfilms), aber fokussierte sich eher auf allgemeine Informationen, die man sich schnell im Internet zusammensuchen kann. Kniebe wurde ebenfalls zitiert, nur in einem ehrlicheren Zusammenhang. Das Problem des Guardian-Artikels lag im daran anschließenden Absatz, der nicht klar machte, dass das nicht mehr Tobias Kniebes Gedanken, sondern die der britischen Berlin-Korrespondentin waren, in denen die Undifferenziertheit der deutschen Figuren angemerkt wurde.

Daraus wiederum machte der amerikanische Filmblog Slashfilm noch am selben Tag:
"German critics are getting into a fuss about the leaked script’s depiction of all Germans as evil people who need to be crushed. Apparently, the lack of a distinction between Nazi soldiers and regular German ones causes concern. Blah blah. We’ll let the Bear Jew decide."
Und da hätten wir es wieder, das alte Märchen vom ängstlichen Deutschen, der doch bitte nicht als monströser Nazi dargestellt werden will. Es gab bisher eben nicht die deutschen Kritiker, sondern nur einen einzigen. Und der lobte das "Inglourious Bastards"-Script durchgehend. Die britischen Artikel brachten die Undifferenziertheit der deutschen Figuren auf den Tisch. Der Slashfilm-Artikel scheint mir dem gängigen Klischee zu entsprechen, so wie die ewigen Mythen, dass Deutsche immer noch über Leslie Nielsen lachen und große David Hasselhoff Fans wären. Ich sage, dahingehend sind wir abgehärtet - was Hasselhoff und Nielsen betrifft, aber auch, wenn Deutsche die letzten Jahrzehnte als Bösewichte in Hollywoodfilmen herhalten mussten. Wer auch nur den Hauch eines Filmsachverstandes hat, weiß, es gibt wenige Filme über Nazis als Sympathieträger – und das zu Recht. Spätestens in den 1960er-Jahren hatte man das auch in Deutschland akzeptiert und freute sich z. B. schon über Gerd Fröbe in "Goldfinger", weil er weltweit anerkannt einen der besten Filmschurken aller Zeiten spielte.

Gleichzeitig treffen diese englischsprachigen Artikel unterschwellig schon einen Nerv, der über das plakative Angsthaben der Krauts vor den Amis hinausgeht. Die deutschen Zuschauer sind lange die Eindimensionalität der Darstellung Deutscher im Zweiten Weltkrieg leid, schauen sich interessiert und in großer Anzahl TV-Events wie "Dresden" oder "Die Flucht" über Deutsche als Opfer an. Im Kino boomen die Nazi-Widerständler, die Geschwister Scholl und Stauffenberg. Der Oscargewinner Florian Gallenberger verfilmt gerade das Leben vom Nazi John Rabe, der in den 1930er-Jahren, ähnlich wie später Oskar Schindler, mehreren tausend Chinesen das Leben rettete, indem er sie vor der einfallenden japanischen Armee schützte. Nicht zu vergessen Frank Schirrmacher, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem im Frühjahr einer abging, als er Tom Cruise den Ehrenbambi für Courage verleihen durfte, für einen Film, der noch nicht einmal gedreht wurde.

(Geschrieben am 18.08.2008)

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